Warum Bruckner?

Für Umberto Eco ist die Schmiede der ursprüngliche Ort aller Musik. Der Windbalg bläst, das Feuer knistert und das glühende Metall wird in vielfältig perkussiver Art in Form gebracht. „Die Stärke und Schwäche der Töne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Stossen, Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen“, machen laut Carl Philipp Emanuel Bach einen guten musikalischen Vortrag aus. Es sind Handwerksgeräusche an einem archaisch verrauchten Handwerksort, in dem Feuer und Wind zentrale Rollen zukommen. Dieser ist ein elementarer Ausgangsort unserer Musik. Welch faszinierender Gedanke! Jede Schmiede braucht einen Schmied. War Bruckners Urschmiede die Orgel in der Pfarrkirche von Ansfelden? Die Sorge seines Vaters für die Kirchenmusik des Orts galt früh auch dem musikalischen Sohn. Vielleicht weil es sich so gehört, aber sein Feuer wurde angezunden, die Blasbälge der Orgel sorgten dafür. Die Orgel als Ort, an dem Bruckner sein Handwerk anzulegen beginnt. Über dem Hügel lag Sankt Florian, es liegt dort immer noch, wie der Entfachte selbst unter seiner Orgel. Das Stift war für den blutjungen Bruckner eine frühe Ahnung von einer ganz anderen Dimension. Ich will diesen Gedanken vorerst nur in architektonischer Hinsicht fassen. Der Kirchenraum, in dem seine Schmiede steht, expandiert ins Unbegreifliche, der Rauch mutiert zum Weihrauch. Bis heute staune ich immer wieder von Neuem über die Ausmaße des Stifts. Eine Großmächtigkeit, die durchaus etwas Einschüchterndes an sich hat, im besten Fall Demut auszulösen vermag. In den Weiten (und Engen) des sakralen Raums wächst Bruckner heran. Und nicht nur das, dieser steht auf dem Land, auf der grünen Wiese, nahe der größeren Stadt Linz, die damals noch kleiner und viel ferner war als heute. Anton Bruckner ereignete sich in einem bestimmten Landstrich namens Oberösterreich. Nirgends anders hätte es passieren können, zwischen Kyrierufen und Landlerschritten, Hügeln und Wäldern. Dort, wo ein Dialekt gesprochen wird, der bis heute unverwechselbar ist und auf den Klang der Menschen abfärbt. Wie er auch in die Musik eingeht, die von Klangschöpfern auf den Äckern unseres Landes geschaffen wurde und wird. Musik ist nicht geografisch zu verwurzeln, ihre Schöpferinnen und Schöpfer schon.

Bruckner geht nach Linz, wird Domorganist. Der Ausbruch ist im Gange. Er sorgt selbst unablässig dafür. Hätte er nicht ein ewiger und unvergessener Kirchenmusiker bleiben können? Ein Orgelimprovisator, der Nancy, Paris und London im Klang-rausch erobert und danach vor seinen Orgeln kniet. Im Londoner Kristall-Palast spielt er vor siebzigtausend Zuhörenden. „Nein, die Welt ist zu schlecht, ich schreibe gar nichts für Orgel.“ Mit über vierzig Jahren bricht er endgültig aus, um lebenslang wieder und wieder auszubrechen, auch aus dem Kirchenraum. Er findet sich und seine Sprache im Formgelände der Sinfonie. Sinfonien von exzessiven formalen und tonalen Dimensionen, die wie fremdartige, unverständliche Meteoriten einschlagen. Keine Messen, dieser Ketzer, dieser Mystiker. Die Orgel lässt er dafür auf der Terrassendynamik stehen, es kommen ganz ungeahnte Farben und Kräfte ins Spiel. Alles hat seine Grenzen. Nur nicht Bruckner. „Er ist jenseits.“, drückt es sein Wiener Gegenspieler Johannes Brahms aus.

Dieser Bruckner wird innerhalb der Grenzen unseres Landes geboren, wächst hier auf, entwickelt sich hier und geht von hier schwer weg. Er ereignete sich hier! Seine Musik bleibt und wird ein ewiges Ereignis. Sie gehört uns nicht, aber sie gehört zu uns, zu unserem Land, zu unserer Identität. Das Bruckner Orchester Linz gehört zu diesem Land, auch wenn weit über die Grenzen hörbar. Es trägt mehr als nur seinen Namen, was mehr als nur eine Verpflichtung ist. Es hat dort Heimat, wo Bruckner in die Welt aufbrach. Das Orchester spricht den gleichen Dialekt. Diesen will der neue Chefdirigent Markus Poschner deutlich hörbar machen, weit über die Grenzen hinaus und international unverwechselbar. Ein Aufbruch in die weite Welt. Die Füße fest am Boden, auf dem das Bruckner Orchester Linz steht und wurzelt: Oberösterreich und Anton Bruckner. Alles ist möglich.

Warum Bruckner? Weil er sich an uns richtet, uns auch heute noch findet (…und uns auffordert, ihn zu bändigen.), schreibt mir ein Freund. Bruckner trifft ewig.

Norbert Trawöger
Künstlerischer Direktor

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