Poschner über Ludwig van Beethoven

Markus Poschner über Ludwig van Beethoven

» Herz und Verstand sind in perfekter Balance«


Man kann Ludwig van Beethovens Bedeutung für ein Orchester im Grunde nicht hoch genug einschätzen. Für jedes Ensemble sind seine Werke das absolute Zentrum, die Messlatte schlechthin, Alpha und Omega. Das hat zwei sehr klare Gründe: einerseits verlangt er von den Ausführenden eine schon beinahe existenzielle Intensität und Kompromisslosigkeit, die Musikmachen zu einer Sache auf Leben und Tod steigert, andrerseits emanzipiert er jedes einzelne Musikinstrument wie niemand zuvor, löst es aus seinem bisherigen gewohnten Umfeld heraus und mutet ihm obendrein noch nahezu unlösbare Aufgaben zu. Die Anforderungen an die Musiker sind mit nichts zu vergleichen. Jedes Instrument ist personalisiert, spezialisiert, repräsentiert einen bestimmten Charakter, hat eine genau definierte Funktion, wie Figuren in einem Theaterstück. Dies wiederum macht das Zusammenspiel zu einer neuen Herausforderung. Es geht darum viel Mitzudenken, Mitzuhören, Mitzufühlen, wir brauchen eine extreme Wachheit und Reaktionsfähigkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass die Romantik, die als Epoche zwischen uns und Beethoven steht, sich wie Mehltau über Beethovens Partituren gelegt hat und uns manchmal die Sinne, zu interpretieren, zu entscheiden, mit offenen Augen und Ohren dabei zu sein, betäubt. Die sogenannte Tradition verhindert wieder einmal einen klaren Blick auf die Partituren.

Wohl kaum ein Komponist hat seit seiner Lebenszeit eine derart lückenlose Rezeptionsgeschichte wie Beethoven. Daher hat sein Werk auch in unserer Wahrnehmung im Laufe der Zeit eine starke Veränderung durchgemacht. Jede Generation las aus seinen Partituren etwas anderes heraus, beanspruchte den Komponisten sozusagen für sich allein. Das schult uns heute als Musiker ganz immens, nicht diesen Überlieferungen und gutgemeinten Traditionen zu trauen, sondern nur dem Text, der eigentlichen Urquelle. Beethoven ist ein Orchestererzieher par excellence, er verlangt diese große bedingungslose Genauigkeit bei gleichzeitig kaum zu übertreffender Emotionalität. Herz und Verstand sind in perfekter Balance.

(c) Marietta Tsoukalas











und FIDELIO

Eine Frage, die sich sicher auch im Beethoven-Jahr 2020 besonders stark stellt:
Was bedeutet Beethoven für ein Orchester?

Ludwig van Beethoven ist das absolute Zentrum für jedes Orchester, die Messlatte schlechthin, Alpha und Omega sozusagen. Zum einen revolutionierte er die Anforderungen an den Orchesterapparat inklusive der Notation, die sich zwar an die zuvor üblichen Regeln aus der Tradition des Barock und der Wiener Klassik hält, zugleich aber weit darüber hinausgeht. Man könnte sagen, Beethoven personalisierte jedes Orchesterinstrument, emanzipierte es und erweiterte deren Aufgaben bis an die Grenze des Machbaren. Es existieren viele zeitgenössische Berichte, wonach Musiker sich lautstark bei ihm beschwerten, das sei alles gar nicht mehr spielbar. Es lies keinen Stein auf dem anderen, Musikmachen war nun eine Sache auf Leben und Tot. Obwohl Beethoven äußerte exakt notiert, muss sehr aktiv interpretiert werden, alles ist in Bewegung, alles phrasiert und von größter Lebendigkeit. Beethoven zu spielen schult ein Orchester bis aufs Äußerste, denn er fordert Genauigkeit, eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Text und dennoch ein Klangdenken bis hin zu größter Intimität und Zartheit. Beethovens Werke spielen, bedeutet auch immer eine Botschaft transportieren, eine Mission haben. Es ist gibt kaum emotionalere Musik.

Welchen Stellenwert hat seine einzige vollendete Oper Fidelio heute?

Der Revolutionsgedanke, der in diesem Werk steckt, reizt natürlich sehr und prägt vorwiegend auch die Musik: verführerisch, wild und ungezügelt, voller Emotion, gerade in den großen Momenten, in denen der Befreiungsgedanke so stark in den Vordergrund tritt. Selbstverständlich ist Fidelio im Geiste einer Revolutionsoper lesbar, da sind aber auch sehr intime, singspielhafte Momente, manchmal beinahe schon eine Operette. Insgesamt ist das ein unglaublich spannender Punkt. Es geht sehr stark um Themen, die uns auch heute zutiefst beschäftigen und berühren: Einsam sein, gefangen oder frei sein, was bedeutet überhaupt persönliche Freiheit und welche Rolle spielt dies in unserer Idee von Gemeinschaft? Für uns bedeutete das auch, sich bei diesem Werk entscheiden zu müssen. Dieser Beethoven verlangt eine Meinung, einen klaren Standpunkt und das ist faszinierend: es ist so viel möglich in diesem Stück und gerade in unserer Linzer Fassung, in Verbindung mit Mark-Anthony Turnages Twice through the heart wird diese metaphorische Idee und doppelbödige Sinnhaftigkeit auch stark gewollt. Das schafft eine hohe Brisanz und spiegelt gnadenlos uns heutige Menschen.

Wie klingt Turnage und wie geht das mit Fidelio zusammen?

Turnage‘s Werk ist ein sehr intimes, sehr kammermusikalisches Stück, das, obwohl eben beinahe 200 Jahre jünger als der Fidelio, der Sprache, der gedanklichen Konzeption und auch dem handwerklichen Zugriff von Beethoven durchaus verwandt ist. Es ist sehr feingliedrig, polyphon und äußerst verdichtet, ist eindrücklich und farbenreich, zugleich von großer Fragilität. Im Grunde kommt mir Twice through the heart oftmals vor wie die Implosion einer Fidelio-Szene, die Kraft und Energie zwischen beiden Werken ist beeindruckend. Es ist ganz außergewöhnlich, wie diese Kompositionen zwei Seiten einer Medaille wiederzugeben scheinen – inhaltlich, aber auch musikalisch. Sie verhalten sich sozusagen wie spiegelverkehrte Bilder zueinander. Die Stücke stehen in so starker Wechselwirkung, dass auch Beethoven anders klingen wird, die Figuren handeln aufgrund der szenischen Verzahnung auf gewisse Art ebenso anders, reflektierter, abgründiger. Der Abend bekommt dadurch eine neue zusätzliche Dimension, eine spannende Zielgerichtetheit. Diese Idee von sehr großen, sehr extremen emotionalen Zuständen – Freiheit gegen Unfreiheit als Zentrum – kommt viel klarer in unserer Gegenwart an, wenn wir Fidelio und Twice through the heart zusammen hören, zusammen sehen können. Aus der Dunkelheit in das Licht zu gehen bzw. aus dem Licht in die völlige Finsternis, so archaisch das auch klingt, verbindet beide Komponisten und beide Ideen auf zutiefst menschliche Weise.


Ab 19. September 2020 am Landestheater Linz | Musiktheater am Volksgarten

(c) Reinhard Winkler


FIDELIO
OPER VON LUDWIG VAN BEETHOVEN


TWICE THROUGH THE HEART | ZWEIMAL DURCHS HERZ
DRAMATISCHE SZENE VON MARK-ANTHONY TURNAGE


Premiere 19. September 2020 | Großer Saal Musiktheater


Zwei Frauenschicksale, zwei Ehen, zwei Komponisten an einem Abend und eine große Frage: Wie weit gehen wir für diejenigen, die wir lieben? Das Gewicht von Liebe und Freiheit untersucht diese Produktion, die Ludwig van Beethovens einzige Oper Fidelio und Mark-Anthony Turnages Dramatische Szene Twice through the Heart verknüpft. Während in Beethovens Werk die kühne Leonore im Fokus steht, die für den verschollenen Ehemann ihr Leben riskiert, spitzt Mark-Anthony Turnage das Schicksal einer einsamen, namenlosen Gefangenen zu, in dem die abgründige Seite der Liebe sich schmerzhaft niederschlägt.

Musikalische Leitung Markus Poschner
Inszenierung Hermann Schneider
Bühne, Kostüme und Video Falko Herold
Dramaturgie Anna Maria Jurisch










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